Heidi Mackowitz: „Die Behinderung ist nur ein ganz kleiner Teil von mir“

Heidi Mackowitz

Als Heidi Mackowitz am 19. August 1979 in Bludenz geboren wird, ist die Nabelschnur um ihren Hals gewickelt. Eine Komplikation, die zu einer Lernschwierigkeit führt. Dennoch, oder vielleicht gerade deshalb führt die heute 43-Jährige ein bemerkenswertes und doch ganz normales Leben. Bei den ArbeitsLebensGeschichten mit Carmen Jurkovic-Burtscher erzählte sie von der Unterstützung ihrer Familie, von unvergesslichen Momenten in ihrer Karriere als Skirennläuferin und davon, was sie mit ihrer Arbeit als Selbstvertreterin für Menschen mit Lernschwierigkeiten bewirken möchte.

Zu Beginn merkt man noch nicht viel von ihrer Lernschwierigkeit, erzählt Heidi. Erst als sie beginnt zu laufen fällt auf, dass sie sich schwertut, das Gleichgewicht zu halten oder Distanzen einzuschätzen. Um Laufen und später Radfahren zu lernen, braucht sie deshalb länger als die meisten anderen Kinder.

Doch das stört Heidi nicht. „Ich bin ein sehr geduldiger Mensch“, sagt sie. Und Mama Christine und Papa Hugo tun von Anfang an alles, um ihrer Erstgeborenen ein möglichst normales und selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Auch das Skifahren lernt Heidi von ihren Eltern.

Mit gerade einmal drei Jahren sei sie gefahren wie ein „Engile“, erzählt sie lachend. „Je schneller ich geworden bin, umso mehr habe ich mit den Händen geflattert.“ Und schnell sei sie von Anfang an gewesen.

Arbeiten, Trainieren, Schlafen, Arbeiten, Trainieren

Ihre Technik verbessert sich mit den Jahren offenbar deutlich, denn ihre sportliche Karriere nimmt Fahrt auf. Ende der 90er-Jahre wird Heidi auf einer Wintersportwoche entdeckt. Inzwischen arbeitet sie in einer Fachwerkstätte der Lebenshilfe.

Ulrike Skala vom Sportverein „Special Friends“ der Lebenshilfe wird auf das Talent der 17-Jährigen aufmerksam und lädt sie ein, an einem Rennen teilzunehmen. Heidi ist sofort dabei. Papa Hugo übernimmt die Trainer-Rolle und widmet sich in den kommenden Jahren intensiv dem Aufbau seiner Tochter.

Heidis Tagesablauf ist eng gesteckt: Es ist eher die Regel als die Ausnahme, dass ihr Vater sie von der Arbeit abholt, die Jausenbox und ihre Skisachen im Gepäck. Während der Fahrt zum Training isst Heidi im Auto und zieht sich auf dem Rücksitz um. Sie nimmt viel in Kauf, doch unter Druck setzt Heidi sich nie.

Sie glaubt an ihre Fähigkeiten und fährt einfach Ski. „Manchmal hatte ich die Intuition: ‚Heute wirst du Erste.‘ Und das war dann auch so“, sagt sie. Mehr als 20 Mal gibt ihr ihre Intuition bei Österreich-, Europa- oder gar Skiweltmeisterschaften in unterschiedlichen Disziplinen recht.

„Manchmal hatte ich eine Intuition: ‚Jetzt werde ich Erste.‘ Und das war dann auch so.“

Behindertensportlerin des Jahres 2012

Wenn man Heidi nach den beeindruckendsten Momenten ihrer Karriere fragt, dann erzählt sie gerne von der Gala, im Rahmen derer sie zur Behindertensportlerin des Jahres 2012 gekürt wurde.

Wie ein Star habe sie sich gefühlt, erinnert sie sich. Weil die Veranstaltung in so einem noblen Hotel stattgefunden habe. Oder weil ihre Mama mit ihr vorher extra beim Friseur gewesen sei, wo sie eine Rose ins Haar geflochten bekommen habe, passend zu ihrem dunkelblauen Kleid. Und auch der Moment, in dem sie ihren Namen auf der großen Leinwand liest, ist für Heidi unvergesslich.

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Aufnahme in die INAS Hall of Fame 2016

Der Höhepunkt ihrer Karriere sollte jedoch erst noch folgen: 2016 wird die inzwischen 37-jährige Heidi in die INAS Hall of Fame (heute: Virtus Hall of Fame) aufgenommen. Neben ihren unzähligen sportlichen Erfolgen sind es vor allem ihr Durchhaltevermögen und ihr Mut, wofür sie nominiert wird.

Denn 2013 zwingt sie ein schwerer Trainingsunfall zum Pausieren. Ein Oberschenkeltrümmerbruch fesselt sie für mehrere Monate ans Bett, ihre Karriere scheint beendet.

Doch Heidi überwindet ihre Angst, wagt noch einmal ein Comeback und erreicht schon bei ihrem zweiten Rennen, der österreichischen Meisterschaft 2016 in Leogang, in allen Disziplinen den ersten Platz.

Auch abseits der Piste tut sich einiges

2018 beendet Heidi ihre aktive Sportkarriere. Langweilig wird es ihr deswegen jedoch ganz bestimmt nicht. Denn Skifahren ist und war niemals alles, was Heidi beschäftigt. Schon im Jahr 2002 hat sie den Hauptschulabschluss nachgeholt und anschließend ein freiwilliges soziales Jahr eingelegt.

Im Anschluss hat Heidi eine Ausbildung zur Servicefachfrau absolviert und ein Jahr im Tourismus gearbeitet. Schlussendlich jedoch hat sich die Frau mit den vielen Interessen beruflich in einem ganz anderen Bereich niedergelassen.

Seit 2008 ist Heidi Mackowitz Selbstvertreterin beim Verein „Mensch zuerst“. Hier lernt sie, sich mit ihrer eigenen Behinderung auseinanderzusetzen und hat die Möglichkeit, sich als Expertin in eigener Sache für die Rechte von Menschen mit Lernschwierigkeiten auf ein selbstbestimmtes Leben einzusetzen.

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Der Verein Mensch zuerst

Sechs Frauen und Männer mit Lernschwierigkeiten leiten den Verein Mensch zuerst mit Unterstützung selbst. Heidis Aufgabe ist die Vernetzung – mit anderen Selbstvertretungsgruppen in ganz Österreich, aber auch mit anderen Vereinen und Institutionen.

Sie hält Vorträge, veranstaltet Events und leitet Aktionen, wie zum Beispiel die „Menschenkette für gleiche Rechte“ in Innsbruck. Auf die Frage, welches Recht für Heidi persönlich am wichtigsten ist, kommt die Antwort prompt: „Fein wäre, wenn jeder Wahlmöglichkeiten hat. Das heißt, jeder Mensch soll entscheiden können, wo er wohnen will, wo er arbeiten will und wie er seine Freizeit gestalten will.“

„Fein wäre, wenn jeder Wahlmöglichkeiten hat. Das heißt, jeder Mensch soll entscheiden können, wo er wohnen will, wo er arbeiten will und wie er seine Freizeit gestalten will.“

Heidi lebt es vor: Sie hat einen Job, der ihr gefällt, eine eigene Wohnung, viele Freunde und viele Hobbys. Doch eines ist ihr besonders wichtig: Kein Mensch mit Lernschwierigkeiten schafft das alleine – und ganz egal, wie hoch der Unterstützungsbedarf ist, das Recht auf Selbstbestimmung sollte für alle Menschen gelten.

Dafür tritt Heidi ein, als Botschafterin, als Unterstützerin und als Vorbild dafür, das eigene Leben selbst in die Hand zu nehmen. Wie das gelingen kann, dafür gibt Heidi zum Abschluss des Abends den Gästen eine ganz persönliche Botschaft mit auf den Weg:

Für die Mitmenschen dieser Zeit

Ich als Botschafterin dieser Zeit möchte euch eine Botschaft auf den Weg geben.

Wir sind Botinnen in dieser Zeit.
Jeder von uns kann sein eigenes Leben in die Hand nehmen.
Wir können von dem Lebensbrunnen schöpfen, um Energie zu schöpfen.

Vertraut auf euer Inneres, fühlt den Rhythmus dieser Zeit.
Freut euch an den kleinen Dingen in eurem Leben.

Nur wir haben das Leben in der Hand. Jeder kann sein Leben ändern.
Ihr müsst nur daran glauben.
Wir sind Boten und Botinnen dieser Zeit. Auch ich bin eine Botin.

Glaubt an das Wunder, an die Zuversicht, an die Menschheit.
Tragt eure Botschaft hinaus und fühlt euch frei.
Freiheit, Brüderlichkeit, Schwersterlichkeit ist ein hohes Gut.

Ich wünsche euch Umarmungen, Magie, Herzenswärme, viele Wunder und Leute, die eure Herzen erwärmen.

DANKE.

Heidi Mackowitz

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