Vom Waisenhaus zum Schülerheim, von der Berufsschule zum Amtsgebäude und schließlich vom Jugendtreff zur Schaffarei – dem Haus für Arbeitskultur. Seine bewegte Geschichte umgibt das historische Gebäude in Widnau 10 mit einer Aura der Bedeutsamkeit.
Das „Graf Hugo“: Ein Zentrum für Jugend und Kultur
Die wohl lebhafteste und bis dato begegnungsreichste Zeit erlebte das Gebäude von 1977 bis Ende 2018 als Jugendzentrum „Graf Hugo“ der Offenen Jugendarbeit Feldkirch. 1983 eröffnete ein Café im Erdgeschoss und wenig später feierte auch der Keller sein Debüt als Partyraum für Discos und Konzerte.
Letzterer wurde nach und nach zu einer echten Adresse für Musikbegeisterte. Bands und Gruppen aus Vorarlberg und aus aller Welt sorgten hier für so manches Konzerthighlight abseits vom Mainstream.
Nachdem die Stadt Feldkirch 2006 das Gebäude an die AK Vorarlberg verkauft hatte, lief der Pachtvertrag mit der Offenen Jugendarbeit Feldkirch für Widnau 10 noch bis Ende 2018. Heute ist das Jugend- und Kulturzentrum „Graf Hugo“ in der Feldkircher Reichsstraße zu Hause – und das Haus Widnau 10 ist in dieser heute ebenso wichtigen Rolle als Ort der Begegnung erwachsen geworden.
Eine Sanierung mit Samthandschuhen
Ende Januar 2020 konnte der Umbau vom Jugendtreff in die Schaffarei als Haus für Arbeitskultur beginnen. Da sowohl das äußere Erscheinungsbild als auch der Charakter im Inneren des Hauses so weit als möglich bewahrt werden sollten, hieß es für Projektleiter DI Dark Schick (Büro Johannes Kaufmann Architektur, Dornbirn) und die umsetzenden Gewerke, mit Samthandschuhen an die Arbeit zu gehen.
Die ursprüngliche Aufteilung des Gebäudes wurde in den Plänen beibehalten. Zwei Fixpunkte gaben dabei das weitere Vorgehen vor: Zum einen musste ein barrierefreier Zugang zum Haus ermöglicht werden. Dazu wurde von Johannes Kaufmann Architektur ein Lift eingeplant, mit dem alle Geschosse, samt Keller, möglichst grundrisschonend erschlossen werden konnten. Zum anderen sollte das historische Stiegenhaus erhalten bleiben.
Charakter ist mehr als nur Fassade
Das Gebäude steht zwar nicht unter Denkmalschutz, wurde jedoch von der Stadt Feldkirch als erhaltenswürdig eingestuft. Mit ein Grund, an der Fassade nur so viel wie nötig und so wenig wie möglich zu verändern. Was das Stiegenhaus für den Innenraum ist, sind die Fenster für die Außenwirkung.
Die Fenster einfach auszutauschen, war also keine Option. „Auch die Fensterläden sollten beibehalten werden“, erzählt Schick. „Wie die Fenster gehören sie zur Architektursprache der damaligen Zeit.“ Um das Gebäude dennoch zeitgemäß nutzen zu können, wurden lediglich die inneren Flügel der Kastenfenster ausgetauscht und durch neue 2-fach-verglaste Holzfenster ersetzt.
Wenn Gestern das Morgen gestaltet
Heute ist in den drei Obergeschossen der Schaffarei mit dem Digital Campus Vorarlberg das Vorarlberger Zentrum für digitale Berufe und Weiterbildung untergebracht. In den Schulungsräumen finden zudem Events, Workshops und kulturelle Veranstaltungen im Rahmen der Schaffarei Formate statt.
Ein Mikro-Museum im Eingangsbereich zum Thema „Arbeit im Wandel“ bildet den thematischen Auftakt und den Eingangsbereich zur Gastronomie im Erdgeschoss. Zurückhaltendes Schwarz bildet einen edlen Kontrast zu den Kalksteinmauern, die in der KUCHE als wesentlicher Teil der Innenraumgestaltung Renaissance feiern.
Auch das Gewölbe im Keller wurde komplett vom alten Putz befreit und vermittelt nun, im Zusammenspiel mit ausgesuchtem Interieur, Pariser Club-Atmosphäre mitten in Feldkirch. In mehrerlei Hinsicht ein richtungsweisender Übergang vom ehemaligen „Graf Hugo“ Keller in den neuen KLUB: der über und über mit Veranstaltungspostern beklebte Abgang. Ein lebendiges Stück Zeitgeschichte, die nur darauf wartet, mit Ankündigungen zukünftiger Events fortgeschrieben zu werden.
Zeitreise durch die Schaffarei
Nach Umbauarbeiten wurde das ehemalige „Scarpatetti-Haus“ ab 1914 als Waisenhaus genutzt. Im ersten Stock sollten Mädchen und Kleinkinder, im zweiten Stock Knaben untergebracht werden.
Bereits wenige Jahre später, 1923, wurde in den Räumlichkeiten ein Schülerheim errichtet. Das Heim beheimate Burschen aus Vorarlberg und Tirol, die in Feldkirch überwiegend das Gymnasium besuchten.
Die Dokumentation, wie das Gebäude ab 1938 genutzt wurde, ist lückenhaft. Belegt ist, dass 1946 das Amt für Statistik und Landwirtschaft, das Wohnungsamt, das Standesamt sowie das Hochbauamt untergebracht waren.
Ab 1947 zog die hauswirtschaftliche Berufsschule in das Gebäude ein. Auch eine Sonderschule war zeitweise in dem Haus untergebracht.
Ab 1977 zog der Jugendverein „Graf Hugo“ in das Gebäude ein und teilte dieses anfangs mit der Hauswirtschaftlichen Berufsschule. 2006 verkaufte die Stadt das Haus an die AK Vorarlberg.
Nach einer achtsamen Sanierung wird das geschichtsträchtige Gebäude im September als Schaffarei offiziell wieder eröffnet und seiner zukünftigen Nutzung als Haus für Arbeitskultur übergeben.