Hebamme Agnes Meyer im Museum des Wandels

Hebamme Agens Meyer im Museum des Wandels

Im Mittelpunkt der zweiten Ausstellung im Museum des Wandels steht Agnes Meyer. Als Hebamme hat sie in mehr als drei Jahrzehnten über 13.000 Frauen auf die Geburt vorbereitet und rund 6.000 Geburten begleitet. Im Video-Interview erzählt sie, wie sich ihr Arbeitsleben im Wandel der Zeit verändert hat.

Agnes Meyer hat als Hebamme etwa 6.000 Menschen in diese Welt begleitet. Ganze Generationen sind in über 30 Jahren Berufstätigkeit durch ihre Hände gegangen: „Frauen, die ich vor 30, 20, 25 Jahren entbunden habe, kommen jetzt in der Schwangerschaft zu mir“, erzählt die 73-Jährige.

Man kennt Agnes Meyer in Vorarlberg. Nach Stationen in Innsbruck, Feldkirch und Reutte war sie rund 24 Jahre im Krankenhaus in Bregenz tätig. Ab 1983 bis zu ihrer Pensionierung im Jahr 2005 als Chefhebamme.

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Fortschritt heißt auch Verunsicherung

Während ihres langen Berufslebens hat sich in der Geburtshilfe viel verändert. „Jeder technische Fortschritt war Segen und Fluch zugleich“, bringt es die Kuratorin des Museums des Wandels, Michaela Feurstein-Prasser, auf den Punkt.

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Eine der wichtigsten Errungenschaften war das Kardiotokogramm (CTG), welches 1971 das Stethoskop ablöste. Damit ließen sich die Herztöne des Kindes nicht nur abhören, sondern wie ein EKG aufzeichnen. Auffälligkeiten konnten erfahrene Hebammen bis dato zwar auch mit dem Stethoskop heraushören. Mit der neuen Technik konnten sie es den anwesenden Ärzten nun auch beweisen.

Der Fortschritt Anfang der 70er-Jahre brachte aber auch Unsicherheiten mit in den Kreißsaal. Die Interpretation des CTG war zu Beginn schwierig. Man wurde übervorsichtig, es gab viele Kaiserschnitte. „Die Hebammen haben oft nicht mehr so an sich geglaubt“, beschreibt Agnes Meyer die anfängliche Verunsicherung.

Hebamme Agens Meyer im Museum des Wandels
Vom Stethoskop zum Kardiotokogramm: Der technische Fortschritt sorgte in der Geburtshilfe auch für Verunsicherung.

Nichts Besonderes, nur einmalig ist jede Geburt.

Die Hebamme als Wegbegleiterin

Die technischen Geräte sind heute hoch entwickelt und lassen wenig Raum für Spekulation. Dennoch – oder gerade deswegen – spielen Unsicherheiten im Kreißsaal laut Agnes Meyer immer noch eine große Rolle: „Es hat sich sehr viel verändert. Die Frauen sind selbstständiger geworden. Sie haben einen Beruf, bekommen später Kinder und werden dadurch sehr ängstlich. Sie wollen alles abgeklärt haben. Sie haben kein Vertrauen mehr in sich.“

Um das Vertrauen der Frauen in sich zu stärken, war Agnes Meyer die Geburtsvorbereitung immer ein großes Anliegen. Selbst in der Pension unterstützt sie Schwangere weiterhin auf dem Weg zur Geburt. Sie sieht sich als Wegbegleiterin, als Bergführerin: „Die Geburt ist wie der Piz Buin. Und oben am Piz Buin, da sitzt das Kind. Und wenn man da hinauf will, da braucht man eine Begleitung. Die Frau aber muss den Weg selber gehen.“

Hebamme Agens Meyer im Museum des Wandels

Ein großer Dank an alle Vorarlberger Frauen – sie haben mich unterstützt, damit ich eine gute Hebamme werde. Sie haben mir gezeigt, was ich machen soll mit ihnen. Sie haben mich gelehrt, mit Kindern, mit Müttern und Vätern umzugehen.

Zwischen Technik und Natürlichkeit

Inwiefern Technik die Geburtshilfe in Zukunft weiter formen wird, werden die kommenden Jahre zeigen. Der Trend geht zurück zu einer möglichst „natürlichen“ Geburt in einem entsprechenden Ambiente. Mitunter ist das ein Verdienst von Hebammen wie Agnes Meyer, die mit ihrem Schaffen am Krankenhaus in Bregenz einen großen Einfluss auf die Geburtskultur in Vorarlberg hatte.

 

Über das Museum des Wandels

In den letzten 150 Jahren hat sich die Arbeitswelt stark verändert. Unser Arbeitsalltag ist wesentlich schneller geworden, technische Errungenschaften haben viele Arbeitsschritte erleichtert, jedoch auch zahlreiche Berufe überflüssig gemacht. Wer kennt sie heute noch, die Blaudrucker oder Weißnäherinnen, die Buchstabengießer oder Laternenanzünder, die Weichensteller oder Aufzugführer?

Im Erdgeschoss der Schaffarei zeigt das Museum des Wandels, wie sich diese Veränderungen auf einzelne Menschen ausgewirkt haben. Zweimal im Jahr porträtiert die Schaffarei anhand zweier Objekte und eines Interviews ein individuelles Arbeitsleben. Mit der Zeit werden diese Geschichten ein digitales Museum des Wandels bilden.

Michaela Feurstein-Prasser

Die Kuratorin: Dr. Michaela Feurstein-Prasser

Michaela Feurstein-Prasser lebt und arbeitet in Wien. Sie studierte Romanistik und Geschichte und promovierte über französische Besatzungspolitik in Österreich nach 1945. Von 1993 bis 2010 arbeitete sie im Jüdischen Museum Wien in verschiedenen Funktionen, zunächst als Leiterin der Vermittlungsabteilung, dann als Kuratorin.

Seit 2011 ist sie freie Kuratorin und Kulturvermittlerin, teilweise in der Arbeitsgemeinschaft xhibit.at gemeinsam mit Felicitas Heimann-Jelinek. Sie ist Programmkoordinatorin des Curatorial Education Programme der Association of European Jewish Museums, hat zahlreiche Ausstellungen kuratiert, etwa für das Jüdische Museum Hohenems, für das Jüdische Museum Frankfurt und das Wien Museum.

Publikationen veröffentlichte sie unter anderem zur französischen Besatzungspolitik und jüdischen Geschichte Österreichs. Feurstein-Prasser war auch die Kuratorin der ersten Ausstellung im Museum des Wandels: Werner Albrecht – ein Pionier des modernen Skischuhs.

Museum des Wandels

Ein Projekt der Schaffarei – Haus für Arbeitskultur

Ausstellung

Hebamme Agnes Meyer – Aus dem Arbeitsleben einer Wegbegleiterin

24.3. – 24.6.2022
Di bis Sa, 9–18 Uhr
Schaffarei Feldkirch, Eingang Kuche

Kuratierung: Michaela Feurstein-Prasser
Fotografie: Hanno Mackowitz
Film & Schnitt: Stefan Krösbacher

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