Krankenschwester Anni Raid im Museum des Wandels

Krankenschwester Anni Raid

In Österreich herrscht Pflegenotstand. Um auf das Thema aufmerksam zu machen, steht die Pflege im Mittelpunkt der dritten Ausstellung im Museum des Wandels. Anhand zweier Objekte und eines Video-Interviews porträtiert die Schaffarei Anni Raid. Als eine Allergie ihren hart erarbeiteten Traumberuf als Krankenschwester bedroht, muss sie sich neu orientieren und baut am Krankenhaus in Bregenz die Remobilisierung mit Herzinfarktpatient:innen mit auf. Heute ist Anni Raid 90 Jahre alt und leitet noch immer eine Herz-Turngruppe. Ihre Arbeitsbiografie zeigt, wie sich ihr Tätigkeitsfeld im Laufe der Zeit verändert hat. Sie zeigt auch, wie wichtig es ist, offen für Neues zu sein und bis ins hohe Alter aktiv zu bleiben.

Anni Raid wird 1932 als fünftes von acht Kindern in Krumbach geboren. Schon mit 14 Jahren weiß sie, einmal in der Pflege arbeiten zu wollen. Doch der Weg dorthin ist schwer: „Bei uns mussten die Buben was lernen, für die Mädchen hatte man kein Geld“, erzählt sie. Darum arbeitet sie die ersten 13 Jahre nach ihrer Schulausbildung als Haushaltshilfe, Kunststopferin und „Mädchen für alles“.

Nach einem sozialen Jahr, das damals noch „Dienst am Anderen“ hieß, ist es dann endlich so weit: Anni Raid beginnt ihre Ausbildung zur Krankenschwester als „Spätberufene“ an der Krankenpflegeschule in Innsbruck. Da ist sie Ende Anfang 30 und der Druck enorm: „Ich hatte furchtbare Angst, dass ich das nicht schaffe.“

Krankenpflege-Diplom: Der Traum wird Realität

Sie schafft es. Drei „harte Jahre“ später schließt sie die Ausbildung zur Krankenpflegerin ab. Sogar mit Auszeichnung. „Als ich das Diplom bekommen habe, war ich der glücklichste Mensch auf Erden“, erinnert sich Anni Raid an den Moment der Zeugnisübergabe. Im Oktober 1966 tritt sie ihren ersten Dienst auf der Internen Abteilung am Krankenhaus in Bregenz an.

Was sie dort erwartet, ist ein Realitätsschock. In der veralteten und viel zu kleinen Einrichtung können sie und ihre frisch diplomierten Kolleginnen vieles nicht so ausüben, wie sie es in ihrer Ausbildung gelernt haben. Die Pflege der Patient:innen ist mühsam. Teilweise stehen sogar die Gänge voll mit Betten: „Mir haben die Patient:innen so leidgetan“, erzählt die 90-Jährige.

Ich wollte immer Krankenschwester werden.

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Bessere Arbeitsbedingungen im neuen Spital in Bregenz

Am schlimmsten ist für Anni Raid der Umgang mit den hochexplosiven Sauerstoffflaschen: „Die musste Josef, der einzige Krankenpfleger, der auch die Kranken in den Betten von einem Ort an den anderen schieben musste, ans Bett binden. Oft, wenn wir das Bett verschoben haben, hing dann die Flasche schräg am Bett – das war eine gefährliche Sache…“

Erst mit dem Umzug in das neue Spital in Bregenz im Jahr 1974 werden die Arbeitsbedingungen besser – und damit auch die Versorgung der Patient:innen. Sauerstoff gibt es ab diesem Zeitpunkt in jedem Zimmer. Das Sauerstoffgerät kann einfach an einen Anschluss in der Wand angeschlossen werden: „Das Schönste war, dass man dann den Sauerstoff einfach von der Wand herunternehmen und dem Patienten überreichen konnte.“

„Banale Dinge, die uns heute nicht mehr auffallen, waren ein Riesenschritt für die Pflegerinnen und Pfleger von damals. Der Wandauslass für Sauerstoff hat ihnen das Leben extrem verbessert und eine große Angst genommen“, ergänzt Kuratorin Dr. Michaela Feurstein-Prasser.

Allergie bedroht den Traumberuf

Die Freude über das besser ausgestattete, neue Krankenhaus hält nur einige Jahre. Ein Desinfektionsmittel, mit welchem die Schwestern täglich reinigen müssen, löst bei Anni Raid eine Allergie aus. Ihre geliebte Arbeit in der Pflege kann sie nicht mehr ausüben.

Dafür ergibt sich eine neue Chance. Mit den Worten: „Ab jetzt müssen wir die Patient:innen nach einem Herzinfarkt im Akutstadion sofort bewegen. Sie sind die richtige Person“, eröffnet ihr Primarius Fuchs ein neues Arbeitsfeld. Und erfordert von Anni Raid, nochmal drei Jahre in die Lehre zu gehen.

Krankenschwester Anni Raid

Man spürt bei den jungen Mädchen, die in die Krankenpflegeschule kommen, warum sie kommen und ob es ihnen am Herzen liegt, in der Pflege zu sein. Für mich war das einfach mein Leben.

Von der Station in die Remobilisierung

Nach der Weiterbildung in Wien und Deutschland kehrt Anni Raid 1979 nach Bregenz zurück und startet dort die Remobilisierung von Herzinfarktpatient:innen. „Am
Anfang war das furchtbar für mich. Ich hatte immer das Gefühl, ich hätte nichts gearbeitet und den Patient:innen nicht geholfen“, erinnert sich Anni Raid. Doch die Erfolge und die Rückmeldungen bestärken sie. „Mit der Zeit hat es mir mehr Freude gemacht, auch in diesem Bereich zu arbeiten.“

Und selbst die Pension kann Anni Raid 1987 nicht davon abhalten, weiter mit Herzpatient:innen zu arbeiten. Heute gibt es in Bregenz acht Herz-Turngruppen. Eine davon leitet Anni Raid seit fast 35 Jahren. Wenn es nach der 90-Jährigen geht, noch lange.

Pflege im Wandel der Zeit

In ihrem langen Arbeitsleben als Krankenschwester hat Anni Raid viele Veränderungen miterlebt. In ihrer eigenen Tätigkeit, aber auch allgemeine Änderungen im Pflegebereich – nicht immer zum Besseren, wie sie findet.

Die Akademisierung und die Aufteilung des Pflegeberufs in mehrere Ausbildungsfelder kritisiert sie: „Das Geteilte, das funktioniert einfach nicht auf einer Station. Da muss man alles angreifen können und alles machen. Als Stationsschwester muss man das Gleiche tun wie die Schwestern.“

Über das Museum des Wandels

In den letzten 150 Jahren hat sich die Arbeitswelt stark verändert. Unser Arbeitsalltag ist wesentlich schneller geworden, technische Errungenschaften haben viele Arbeitsschritte erleichtert, jedoch auch zahlreiche Berufe überflüssig gemacht. Das Museum des Wandels der Schaffarei zeigt, wie sich diese Veränderungen auf einzelne Menschen ausgewirkt haben. Zweimal im Jahr porträtiert es anhand zweier Objekte und eines Video-Interviews ein individuelles Arbeitsleben. Mit der Zeit werden diese Geschichten ein digitales Museum des Wandels bilden.

Michaela Feurstein-Prasser

Die Kuratorin: Dr. Michaela Feurstein-Prasser

Michaela Feurstein-Prasser lebt und arbeitet in Wien. Sie hat Romanistik und Geschichte studiert und über französische Besatzungspolitik in Österreich nach 1945 promoviert. Seit 2011 ist sie freie Kuratorin und Kulturvermittlerin. Feurstein-Prasser war auch die Kuratorin der ersten beiden Ausstellungen im Museum des Wandels.

Museum des Wandels

Ein Projekt der Schaffarei – Haus für Arbeitskultur

Ausstellung
Krankenschwester Anni Raid – ein Leben für die Herzgesundheit
10.11.–10.12.2022
Mo bis Fr, 9–18 Uhr
Foyer der AK Vorarlberg, Feldkirch

Kuratierung: Michaela Feurstein-Prasser
Fotografie: Hanno Mackowitz
Film & Schnitt: Stefan Krösbacher

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