Das „Museum des Wandels“ widmet seine zehnte Ausstellung einer außergewöhnlichen Persönlichkeit: Hans Reichart. Fast 40 Jahre lang war er als Sozialarbeiter tätig – ein Beruf, den er nicht von Anfang an im Sinn hatte, der ihn aber letztlich erfüllte wie kein anderer. Seine Geschichte ist eine Geschichte des Suchens, des Wandels und vor allem des unermüdlichen Einsatzes für Menschen am Rand der Gesellschaft. Die Vernissage zur Ausstellung war ein voller Erfolg und wurde von vielen seiner Freunde, ehemaligen Arbeitskollegen, Familie und ehemaligen Schüler:innen besucht.
Hans Reichart wurde 1956 geboren und wuchs in einer Zeit auf, in der der Weg ins Berufsleben oft weniger von eigenen Wünschen als von familiären Erwartungen geprägt war. So begann er zunächst eine Lehre als Reproduktionsfotograf – nicht aus Leidenschaft, sondern weil sich die Gelegenheit ergab. Doch schon bald spürte er, dass dieser Beruf ihn nicht erfüllen würde. Nach Jahren des Reisens durch die Welt fiel er schließlich in eine Sinnkrise. Die Begegnung mit einer Frau, die an der Sozialakademie studierte, brachte ihn schließlich auf einen neuen Weg. Mit 25 Jahren wagte er den Neuanfang und begann die Ausbildung zum Sozialarbeiter.
Erste Erfahrungen im Jugendzentrum „Between“
Bereits während seiner Studienzeit arbeitete er im Jugendzentrum „Between“ in Bregenz. Acht Jahre lang prägte er die Arbeit mit Jugendlichen, die nicht immer einfache Lebenswege hinter sich hatten. Das „Between“ war ein Zufluchtsort für junge Menschen, die oft am Rande der Gesellschaft standen – mit all den Herausforderungen, die das mit sich brachte: Gewalt, Drogenmissbrauch, Perspektivlosigkeit. „Es war eine wunderschöne, aber auch unglaublich anstrengende Zeit“, erinnert sich Reichart. „Irgendwann war mir klar, dass ich eine Veränderung brauchte.“
Herausforderungen in der Schweiz
Diese Veränderung führte ihn in die Schweiz, wo er in einem Erziehungsheim für Mädchen arbeitete. Eine völlig andere Welt, aber keineswegs eine leichtere. Die Mädchen, die dort lebten, hatten meist eine schwere Vergangenheit – Missbrauch, Gewalt, Drogensucht. Der Alltag war geprägt von Krisen, Aggressionen und dem mühsamen Versuch, Vertrauen aufzubauen. Nach einigen Jahren war Reichart ausgebrannt. „Ich war knapp am Burnout“, sagt er rückblickend. Eine längere Reise nach Neuseeland und auf die Fidschi-Inseln half ihm, neue Kraft zu schöpfen.
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Mehr InformationenDie Arbeit als Streetworker
Zurück in Vorarlberg übernahm er eine neue Herausforderung: Er wurde Streetworker. Eine der schönsten Erinnerungen an diese Zeit ist für ihn der tägliche Mittagstisch, den er mit Jugendlichen organisierte. „Es ging nicht nur ums Essen – es ging um Gemeinschaft, um einen festen Ankerpunkt im Alltag dieser jungen Menschen“, erzählt er. Diese Erfahrung bestätigte ihn in seiner Überzeugung, dass Sozialarbeit vor allem Beziehungsarbeit ist – mit Nähe, aber auch der nötigen Distanz.
Neustart in der Bewährungshilfe
1999 folgte dann der Wechsel zur Bewährungshilfe bei Neustart – ein Bereich, der ihn besonders reizte. Hier konnte er Menschen unterstützen, die nach einer Haftstrafe wieder Fuß fassen wollten. Er erlebte Erfolgsgeschichten, aber auch Rückschläge. „Erfolg ist relativ“, sagt er. „Für manche bedeutet es, eine Lehre abzuschließen. Für andere ist es ein Erfolg, einfach zu überleben.“
Wandel in der Sozialarbeit
Während seiner langen Laufbahn erlebte er viele Veränderungen im Berufsfeld. Der zunehmende Verwaltungsaufwand, die Dokumentationspflichten – all das war nicht seine Welt. „Zwei Drittel meines Berufslebens konnte ich ohne Computer arbeiten, dann änderte sich alles.“ Aber er erkannte auch die positiven Entwicklungen: die Einführung der Fußfessel als Alternative zur Haft, die gestiegene Anerkennung der Sozialarbeit in der Gesellschaft.
Ein Leben voller Erinnerungen
Hans Reichart hat vieles gesehen, Gutes wie Schlimmes. Manche Erlebnisse ließen ihn nie los, etwa der Tod eines Mädchens, mit dem er in der Schweiz gearbeitet hatte, oder der Suizid eines Jugendlichen, der es eigentlich geschafft hatte. Doch trotz all der schweren Momente würde er seinen Berufsweg wieder genauso gehen. „Es ist ein wunderschöner Beruf. Wenn mich jemand fragt, ob er oder sie Sozialarbeiter werden soll, sage ich: Ja, unbedingt!“
Der Ruhestand – aber nicht das Ende
Sein eigener Ausgleich zur Arbeit war der Sport – Laufen, Bergsteigen, Radfahren – und vor allem das Lesen. Heute genießt er seinen Ruhestand, bleibt aber gedanklich und emotional mit der Sozialarbeit verbunden. „Der Großteil der Jugendlichen kriegt die Kurve – mit vielen Hürden, aber wer hat die nicht?“ Seine Geschichte, sein Einsatz und seine Haltung zeigen, was Sozialarbeit wirklich bedeutet: Ein unermüdliches Bemühen um Menschen, die Unterstützung brauchen – ohne zu urteilen, ohne einfache Lösungen, aber mit viel Herz.