GutePraxis: Exkursion zu VAUDE und zu „einfach Möbel“

Es war ein Tagesausflug in die Zukunft der nachhaltigen Wirtschaft.

Die dritte Exkursion „GutePraxis“ der Schaffarei führte am 24. Februar 2023 zu zwei Betrieben, in denen Gemeinwohl-Ökonomie im Großen und im Kleinen gelebt wird: zu VAUDE bei Tettnang und zur „einfach Möbel“ Tischlerei Paul Brotzge in Hard.

Wie könnte ein Freitagmorgen für das Gemeinwohl besser beginnen, als mit einer Tasse Kaffee, einem Croissant und einem kleinen Kennenlern-Plausch im Foyer der AK Vorarlberg? Gestärkt und bester Laune ging es nach diesem kleinen Frühstück für die 25 Teilnehmer:innen der Exkursion „GutePraxis“ unter der Leitung von Brigitta Soraperra und Matthias Moosbrugger dann auch schon mit dem Bus zur ersten Station: VAUDE in Obereisenbach bei Tettnang.

Erste Station: VAUDE

Nach einer knapp einstündigen Fahrt wurde die „Reisegruppe Gemeinwohl“ von Miriam Schilling, Head von Human Resources, am VAUDE-Campus in Obereisenbach bei Tettnang (D) willkommen geheißen. Mit einer kurzen Präsentation stellte Frau Schilling das Unternehmen, seine Geschichte und seine Vision einer lebenswerten Zukunft vor.

Seine Anfänge hat VAUDE (sprich [fau´de]) 1974 als Ein-Mann-Betrieb mit dem Vertrieb von Bergsport-Ausrüstung und der Produktion von Rucksäcken gemacht. Heute beschäftigt das Unternehmen 650 Mitarbeitende und stellt eine breite Palette an Outdoor-Bekleidung und textiler Ausrüstung her. Seit 2009 führt Antje von Dewitz, Tochter des heute 80-jährigen Gründers Albrecht von Dewitz, das Unternehmen.

Die überzeugte Gemeinwohl-Ökonomin setzt sich nicht nur im eigenen Haus, sondern in der ganzen Branche aktiv für diese Wirtschaftsform ein. Gerade in der Textilindustrie, die als eine der umweltschädlichsten gilt, sei es jedoch eine besondere Herausforderung „die Dinge anders anzugehen“ berichtet Frau Schilling. Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit sowie Transparenz und Mitentscheidungsmöglichkeiten nach innen und nach außen sind die Werte, an denen sich VAUDE dabei im Sinne des Gemeinwohls orientiert.

Verantwortungsvolle Produktion in Vietnam

Dennoch, und das mag überraschen: Ein Großteil der VAUDE-Produkte wird in Vietnam produziert. Faire Löhne und Arbeitsbedingungen, saubere Produktionsschritte und umweltfreundliche Materialien seien für das Unternehmen jedoch auch dort Pflicht, so Miriam Schilling. Als Mitglied der Fair Wear Foundation schule VAUDE seine Produzenten und Zulieferer in Chemikalien- und Ressourcenmanagement und verpflichte auch sich selbst zu hohen Umwelt- und Sozialstandards. 2022 habe bereits die Hälfte aller Produkte überwiegend aus recycelten oder biobasierten Materialien bestanden. Darüber hinaus sei das Design der Produkte auf eine möglichst lange Nutzungsdauer ausgelegt. Was kaputt gehe, könne in der hauseigenen Werkstatt repariert oder durch Upcycling wiederverwendet werden. Wo beides nicht mehr geht, werde umweltschonend recycelt.

Work-Life-Sport-Balance

Am VAUDE-Campus in Tettnang stehen den rund 200 Mitarbeitenden vor Ort unter anderem eine begrünte Pausenzone und diverse Sportmöglichkeiten, ein Fahrrad-Parkhaus sowie das VAUDE Kinderhaus zur Verfügung. Die Kinderbetreuung vor Ort, Teilzeitmodelle und Homeoffice sollen es Eltern einfacher machen, Beruf und Familie zu vereinen.

Klimaneutral seit 2022

Der Standort in Obereisenbach ist seit 2012 klimaneutral. 2022 folgten das gesamte Unternehmen sowie alle Produkte. Derzeit sei dies nur durch den Ankauf von Klimaschutz-Zertifikaten möglich. Das Unternehmen arbeite jedoch daran, den CO2-Ausstoß aus eigener Kraft weiter zu senken, betont Miriam Schilling. Bis 2030 sollen es 50 Prozent weniger CO2-Emissionen im Vergleich zu 2019 sein

Ein Blick ins Unternehmen

Nach der Präsentation mit anschließender Fragerunde und angeregter Diskussion hatte die Gruppe die Möglichkeit, das Unternehmen von innen kennenzulernen. Die Führung ging vom Herzstück des Unternehmens, der Produktentwicklung, über die Reparaturwerkstatt in die Produktion, wo Radtaschen und Taschen hergestellt werden. Schließlich konnte die Gruppe noch einen Blick in die zentrale Logistik werfen, wo 5000 Pakete täglich kommissioniert und an Händler in aller Welt verschickt werden.

Mittagspause inklusive

Beim gemeinsamen Mittagessen im Anschluss wurden angeregt die Eindrücke des Vormittags ausgetauscht. Auch erste Spekulationen darüber wurden angestellt, wie sich denn das, woran VAUDE im Großen arbeitet, wohl im Kleinen bei der Tischlerei „einfach Möbel“ von Paul Brotzge in Hard gestalten würde.

Zweite Station: „einfach Möbel“ Tischlerei Paul Brotzge

Zurück in Vorarlberg machte der Bus dann auch schon wenig später Halt bei „einfach Möbel“ in Hard. Dass Tischlermeister Paul Brotzge an diesem Freitagnachmittag Geburtstag hatte und dennoch sichtlich gerne die Tore seiner Tischlerei öffnete, würdigten die Teilnehmer:innen mit einem spontanen Ständchen.

Nachdem die letzten Töne samt Applaus verklungen waren, ging es ein paar Schritte weiter in die Werkstatt – und ein paar Jahre zurück zu den Anfängen des Unternehmens. Gegründet wurde die Tischlerei „Engel & Brotzge“, wie sie damals hieß, im Jahr 2000. Wilfried Engel hatte bereits einen kleinen Betrieb, in den Paul nach einer zweijährigen Weltreise mit seiner Frau Elisabeth einstieg. Doch auch Engel gehen irgendwann in den Ruhestand und so führen die Brotzges den Betrieb seit Anfang des Jahres alleine weiter. Ihnen zur Seite steht heute ein Team aus drei Mitarbeitenden, den Gesellen Janine und Walter sowie Lehrling Carola. Den Wunsch, nachhaltige Möbel herzustellen, brachten die Brotzges schon von ihrer Reise mit. Langlebig sollten sie sein, möglichst einfach und doch formschön. Eben „einfach Möbel“. Bis sie sich jedoch trauten, ihren Fokus ganz auf Vollholz zu legen, vergingen noch einige Jahre. 2011 hörten sie einen Vortrag von Christian Felber, dem Initiator der Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung und waren sofort angetan von dem Gedanken, ihr Schaffen nach diesem Wirtschaftsmodell auszurichten. Mit Unterstützung von professionellen Prozess-Begleitern und einer Peer-Group entstand bereits 2012 die erste Gemeinwohl-Bilanz – und auch die Positionierung des Unternehmens schärfte sich. Eine Erleichterung, wie Elisabeth Brotzge rückblickend findet. Die Kommunikation sei dadurch viel einfacher geworden. Auch die Angst, durch eine klare Position möglicherweise Kund:innen zu verlieren, sei völlig unbegründet gewesen.

Materialgerechte, einfach gestaltete Möbel

Heute stellt die kleine Tischlerei neben Auftragsarbeiten wie Holzküchen auch eine eigene Mini-Serie an Kleinmöbeln her. Jedes Jahr wächst die „einfach Möbel“-Serie aus Kleiderständer, Diener, Tischen und Hockern um ein Design. Die oft langjährigen Kunden der Tischlerei kämen vorwiegend im Rheintal und dem Walgau, berichtet Paul Brotzge. Gearbeitet werde in der Tischlerei in Teamarbeit, von der Planung, über die Kalkulation bis zur Montage – und zwar ausschließlich mit heimischem, FSC-zertifiziertem Holz. Tanne, Lärche oder Esche aus dem Walsertal beispielsweise. Ahorn, Buche, Nuss oder Eiche aus Österreich, zumindest aus Europa. Auch sonst würde das Unternehmen die Transportwege möglichst kurz halten und verwende umweltschonende Materialien, wie beispielsweise Farben auf Leinölbasis.

„Es geht nicht darum, dass man perfekt ist, sondern dass man sich weiterentwickelt.“

Ein eigenes Bio-Restaurant können sie ihren Mitarbeiter:innen leider nicht bieten, erklärt Paul Brotzge schmunzelnd. Bei ihnen seien es eben die kleinen Dinge, die einen Unterschied machen. Wie etwa die „Powerbank“ in der Werkstatt: Ein Regal, auf dem Nüsse, Trockenfrüchte und andere gesunde Snacks jederzeit zur freien Entnahme bereitstünden. Um den Arbeitsweg mit dem Rad möglichst attraktiv zu machen, übernehme das Unternehmen die Wartungskosten. Für Termine ohne Werkzeug stehe zudem ein Klapprad zur Verfügung. Und an Geburtstagen bekomme jede:r Mitarbeiter:in einen halben Tag frei, sagte Paul Brotzge und ergänzt mit einem Augenzwinkern: Er habe heute auch erst um acht Uhr angefangen.

Ein Weg mit Entwicklungspotential

           
70 Arbeitsstunden wende das Team der Tischlerei für die Erstellung einer Gemeinwohl-Bilanz auf. Das Ergebnis ist auf der Website des Unternehmens einsehbar. Hier zeige sich: Vieles sei bereits erreicht, an manchen Stellen gebe es noch Entwicklungspotential. Doch für Paul Brotzge geht es nicht darum, alles perfekt zu machen, sondern darum, sich weiterzuentwickeln. Auch wenn es derzeit keine messbaren Gegenleistungen, etwa in Form von steuerlichen Vorteilen für im Sinne der Gemeinwohl-Ökonomie handelnde Unternehmen, gebe – für die Brotzges lohne sich der Aufwand dennoch: Das Bekenntnis zur Gemeinwohl-Ökonomie schaffe Klarheit nach innen und nach außen. Außerdem sei diese Art zu arbeiten sehr befriedigend, wertschätzend und sinnstiftend.

Alles Gute und auf Wiedersehen

 

Mit den besten Glückwünschen für Paul und vielen inspirierenden Eindrücken neigte sich ein abwechslungsreicher Tag dem Ende zu. Vertieft in angeregte Diskussionen verging die Fahrt nach Feldkirch wie im Flug und so manche:r hatte sich bereits den nächsten Termin notiert: Am 12. Mai 2023 besucht die GutePraxis-Exkursion Haberkorn in Wolfurt und Omicron in Klaus und geht der Frage auf den Grund, was einen guten Arbeitgeber zu einem „Great Place to Work“ macht.

Sie wollen mit dabei sein? Hier geht’s zur Anmeldung!

 

Was bedeutet Gemeinwohl-Ökonomie?

Unter Gemeinwohl-Ökonomie versteht man ein Wirtschaftsmodell, das ein gutes Leben für alle auf einem gesunden Planeten zum Ziel hat. Heute arbeiten über 1000 bilanzierte Unternehmen und andere Organisationen in 35 Ländern im Sinne der Gemeinwohl-Ökonomie. Das bedeutet, sie handeln werteorientiert und setzen sich aktiv ein für:

 

  • Menschenwürde
  • Solidarität und soziale Gerechtigkeit
  • Ökologische Nachhaltigkeit
  • Transparenz und Mitbestimmung

 

Eine jährlich erstellte Gemeinwohl-Bilanz macht transparent, welchen Beitrag konkret ein Unternehmen zum Gemeinwohl leistet.

 

Mehr zur Gemeinwohl-Ökonomie unter: austria.ecogood.org

Weitere Einblicke in vergangene Exkursionen und inspirierende Arbeitspraxis gibt’s in unserem Archiv:

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