Christina Zoderer: Etwas mit den eigenen Händen zu machen ist genial.

Dass sie einmal Kindergärtnerin werden würde, weiß Christina Zoderer schon, als sie selbst noch im Kindergarten ist. Doch als sie selbst Kinder bekommt, verändert das alles. Heute lernt Christina Buchbinderin. Wie es für die zweifache Mutter möglich ist, eine Ausbildung zu absolvieren, was ihr Chef und ihre Familie dazu beitragen und warum sie ihre Entscheidung bisher noch keine Sekunde bereut hat, hat Christina Zoderer bei den ArbeitsLebensGeschichten erzählt.

Christina liebt den Kindergarten – schon immer. „An freien Nachmittagen musste meine Mutter oft mit mir hinfahren, damit ich geglaubt habe, dass dort zu ist“, erzählt sie. In der Oberstufe besucht sie die Bildungsanstalt für Elementarpädagogik (BAfEp). Eine spannende Ausbildung, die der angehenden Kindergärtnerin aber auch zeigt, dass ihre Vorstellung von der Arbeit mit Kindern mit den Vorstellungen der Schule kaum übereinstimmt. 

Nach der Ausbildung ist Christina ernüchtert, wie strikt die Arbeit im Kindergarten geregelt ist und wie alles exakt nach Schulbuch funktionieren muss. „Ich hatte vor, ein paar Jahre zu arbeiten und später vielleicht noch etwas anderes zu studieren“, erzählt sie. Doch jetzt heißt es erst einmal Geld verdienen. Sie bewirbt sich für eine Stelle, die im Jänner frei werden würde – in dem Kindergarten, in dem sie selbst als Kind war. Dazwischen würde sie reisen, soweit der Plan. Doch Christina ist noch nicht einmal von der Maturareise zurück, als sie einen Anruf bekommt: Im Herbst ist in eben diesem Kindergarten eine Karenzstelle zu besetzen.

Theorie und Praxis sind zwei Paar Schuhe

Natürlich nimmt Christina das Angebot an. Das heißt für sie direkt nach den Sommerferien die Leitung einer Gruppe zu übernehmen. Wie war es, so unmittelbar ins kalte Wasser zu springen? „Total chaotisch“, sagt Christina und muss bei der Erinnerung an die ersten Tage und Wochen lachen. „Theorie und Praxis sind echt zwei Paar Schuhe“, sagt sie und ergänzt: „Zum Glück.“ Denn bei aller Herausforderung motiviert es sie sehr, dass im Berufsalltag eben doch nicht alles strikt nach Lehrbuch läuft und sie durchaus ihre eigenen Vorstellungen einbringen kann. Christina findet ihren Weg und die Arbeit macht ihr sehr viel Freude.

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Nach fünf Jahren ungefähr wird es für die Kindergartenpädagogin Zeit für eine neue Herausforderung. Zu der Zeit baut die Stadt Bludenz gerade eine ganz neue Kleinkindbetreuung für Kinder ab 1,5 Jahren auf und bietet Christina die Leitung an. Zunächst ist der damals 23-Jährigen diese Verantwortung fast zu viel. Schließlich lässt sie sich aber doch überzeugen es zumindest zu probieren und leitet ab 2011 das „Farbtüpfle“. 

Das größte Problem damals: Es gibt keine zweite Pädagogin, mit der Christina sich die Führungsverantwortung hätte teilen können. Ihr gesamtes Team besteht aus angelernten Kräften. Das bedeutet, es liegt alleine bei ihr, Bildungsrahmenpläne umzusetzen, Beobachtungen zu dokumentieren oder Konzepte weiterzudenken. Ungeachtet dessen steigt laufend der pädagogische Druck. Neben der Kinderzeit bleibt für die Büroarbeit nur die Mittagspause und der Rest, wie Vorbereitungen, Elterngespräche und ähnliches, muss irgendwo dazwischen Platz finden. „Das ist irgendwann einfach nicht mehr gegangen“, sagt Christina.

Teilzeit ist in dem Job zu wenig Zeit

Als Christina 2017 schwanger wird, weiß sie, dass sie in Teilzeit zurück kommen wird und gibt die Leitung des Farbtüpfle ab. Auch nach der zweiten Schwangerschaft drei Jahre später arbeitet sie „nur“ zwölf Stunden pro Woche. Eine Situation, in der sie nicht wirklich zufrieden ist. Zudem hat sich als Mutter  ihr Blick auf Betreuungseinrichtungen als oft ganztägige Umgebung für kleine Kinder verändert. Eine Kombination, die es ihr schwer macht, ihre professionelle Objektivität zu bewahren, zumal sie den Eindruck hat, nicht mehr das leisten zu können, was sie für die Kinder will. Was Christina anderes tun könnte, weiß sie aber auch nicht.

„Ich hatte das Gefühl, nicht mehr professionell objektiv zu sein und nicht mehr das zu leisten, was ich für die Kinder leisten wollte.“

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Die Chance kommt als Zufall

Doch dann ergibt sich etwas, woran sie nie gedacht hätte. Im Gespräch mit einer Mutter kommt die Sprache auf deren Familienbetrieb, eine Buchbinderei und wie schwer es sei, Mitarbeitende zu finden. Christina erinnert sich, die Stellenanzeige in den Sozialen Medien gesehen zu haben, doch sich darauf zu bewerben, wäre ihr im Traum nicht eingefallen. Als sie gefragt wird, ob sie trotzdem schnuppern kommen wolle, winkt Christina zunächst ab. Doch der Gedanke lässt sie nicht los und nach ein paar Tagen Bedenkzeit vereinbart sie mit ihrem heutigen Chef einen Schnuppertermin.

Als Christina danach ein selbst gebundenes Büchlein in der Hand hält, ist sie begeistert, was sie an nur einem Vormittag geschafft hat. „Wenn die Kinder den Kindergarten verlassen, werde ich wohl einen Anteil an ihrer Entwicklung gehabt haben“, sagt sie. „Aber etwas in Händen zu halten, das ich selbst hergestellt habe, etwas Fertiges, das war ein richtig tolles Gefühl.“ Doch reicht das, um nicht nur den Job sondern gleich die Branche zu wechseln? Um sicher zu gehen, vereinbart sie einen weiteren Tag, bei dem Christina den Alltagsbetrieb kennenlernen und Aufgaben ausprobieren kann, die sie tatsächlich haben würde. Am Abend weiß sie: Sie wird kündigen.

„Am Abend des zweiten Schnuppertags habe ich zu meinem jetzigen Chef gesagt: Du kannst den Vertrag vorbereiten, ich kündige am Montag.“

Mein Chef ist der Allerbeste

Mehr als 15 Stunden pro Woche sind für die junge Mutter nicht möglich, denn ihr Jüngster ist gerade knapp zwei Jahre alt. Trotzdem braucht Christina eine Ausbildung – und dann ist da noch die Sache mit dem Geld. „Wir haben einen Kredit laufen, bei dem mein Gehalt fix einkalkuliert ist“, sagt sie. Ganz schön hohe Ansprüche für jemanden, der keine Ahnung von der Materie hat, wie sie selbst sagt. Doch Christina und ihr Chef Michael werden sich rasch einig und im September 2023 beginnt Christina die Ausbildung zur Buchbinderin. 

Eine Lehre kann sie nicht machen, dafür müsste sie Vollzeit arbeiten und 10 Wochen pro Jahr die Blockschule in Linz, St. Pölten und/oder Graz. Doch ihr Chef findet für alles eine Lösung: Die Arbeitszeiten richten sich nach Christinas Möglichkeiten und sie verdient sogar ein wenig mehr als im Kindergarten. Zudem vereinbart er mit der Innung, dass seine neue Mitarbeiterin auch die Theorie im Betrieb lernen kann. Ihre Lehrabschlussprüfung wird sie als Externistin[1] ablegen. Dass sich sie sich gemeinsam mit Lehrling Jakob darauf vorbereiten kann, ist für die 37-Jährige eine große Hilfe.

[1][1] Die Externistenprüfung ist eine Möglichkeit, in Österreich Schulabschlüsse oder Prüfungen ohne regulären Schulbesuch zu erlangen. Man bereitet sich extern, zum Beispiel durch Selbststudium oder Nachhilfe, vor und legt dann die Prüfungen an einer staatlichen Schule ab.

Nach dem hundertsten Mal kannst du es

Ihre Ausbildung taugt Christina sehr, besonders gerne arbeitet sie von Hand. Dabei gibt es naturgemäß viele Dinge, die sie noch lernen muss. Dass sie am Anfang viele Fehler macht, ist ihr unglaublich peinlich. Schon ein Blatt Papier gerade auf einen Buchdeckel zu kleben, entpuppt sich zunächst als echte Herausforderung. „17 Jahre lang habe ich genau gewusst, was ich tue. Dinge nicht zu können, das ist für mich der schwierigste Lernprozess von allen“, sagt Christina. Doch ihr Chef beweist auch hier eine Engelsgeduld. „Er sagt immer: Nachdem hundertsten Mal kannst du es“, erzählt sie und ergänzt lachend: „Ich hoffe, dass er recht hat.“

„17 Jahre lang habe ich genau gewusst, was ich tue. Dinge nicht zu können, das ist für mich der schwierigste Lernprozess.“

Erst einmal den Abschluss machen

Dass sie auch mit Kindern arbeiten würde, war für Christina immer klar, aber eben nur so, dass es sich gut vereinbaren lässt. Die Unterstützung ihrer Familie hilft ihr dabei sehr: „Mein Mann ist von Anfang an hinter mir gestanden“, betont Christina. Dass ihre Eltern im selben Haus wohnen, sei natürlich der Jackpot und auch Schwiegereltern seien immer da, wenn sie gebraucht werden. Die Entscheidung für die Buchbinderei hat Christina noch keine Sekunde bereut. Vorerst ist es ihr Ziel, die Ausbildung gut abzuschließen, auch wenn es vielleicht ein bisschen länger dauert als bei einer klassischen Lehre. Den Beruf möchte sie jedenfalls sehr gerne weiter ausüben. Wie, das wird sich zeigen. „In zwei Jahren kommt mein Vierjähriger in die Schule“, sagt sie, „dann schauen wir weiter.“

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