Rodar Ali: „Ich wollte immer so viel lernen wie möglich“

Rodar Ali ArbeitsLebensGeschichte

Mit 19 Jahren weiß Rodar Ali ganz genau, was er beruflich einmal machen will. Zwei Jahre später zerstört der Krieg in seinem Heimatland Syrien seine Zukunftspläne. Was es bedeutet, seine Träume aufgeben zu müssen und mit seinen Talenten und dem, was man vorfindet neue Perspektiven aufzubauen, darüber spricht Rodar mit Carmen Jurkovic-Burtscher bei den ArbeitsLebensGeschichten in der Schaffarei.

Rodar Alis Vater hätte gerne gesehen, dass sein ältester Sohn Arzt oder Anwalt wird. Immerhin spricht Rodar mehrere Sprachen und seine guten Schulnoten öffnen ihm alle Wege. Doch Rodar hat eigene Pläne: Menschen aus aller Welt die Kulturschätze Syriens näherzubringen, das ist sein Traum. Mit 19 geht er nach Damaskus, um dort an der Fakultät für Tourismus zu studieren. Sein Schwerpunkt: Archäologie und Kulturgeschichte. Das war 2010. Zwei Jahre später ist der Traum ausgeträumt. Der drohende Militärdienst zwingt ihn und einen seiner Brüder zur Flucht in den Irak.

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Der Traum von Sicherheit und einem geregelten Leben

Um Geld für das Nötigste zu verdienen, sucht Rodar sich anfangs Hilfsarbeiterjobs am Bau. Nach einigen Monaten findet er eine Beschäftigung in einem Restaurant. Zwei Jahre bleibt er im Irak. In dieser Zeit lernt er seine zukünftige Frau Mahabad kennen. 2015 heiraten die beiden. Doch im Irak eine Familie zu gründen, kann Rodar sich nicht vorstellen. Die Angst, irgendwann nicht mehr arbeiten zu können und damit keine Existenzgrundlage mehr zu haben, ist zu groß. Die beiden möchten nach Europa. Irgendwohin, wo es sicher ist und die Möglichkeit besteht, sich ein geregeltes Leben aufzubauen. 17 Tage dauert die Flucht über die Türkei nach Griechenland und schließlich nach Österreich. Tage, in denen sie Bekanntschaft mit skrupellosen Schleppern, Gewalt und dem novemberkalten Wasser der Ägäis machen.

 

Von der Hölle in den Himmel

Dass Rodar und Mahabad  in Vorarlberg landen, ist eher Zufall. In Schröcken finden die beiden hier ihr erstes Zuhause auf Zeit. „Wir hatten das Gefühl, das Auto fährt bis in den Himmel“, erinnert sich Rodar schmunzelnd an die erste Fahrt nach Schröcken Anfang Dezember 2015. „Es war so neblig, wir haben nichts gesehen außer diesem alten Bauernhaus, vor dem wir stehengeblieben sind.“ Die Gastfamilie nimmt die beiden sehr herzlich auf. Hier können Rodar und seine Frau sich erholen und lernen auch ein paar Worte Deutsch. Doch die Möglichkeiten in Schröcken sind begrenzt. Den ersten Deutschkurs besuchen sie in Bregenz – mit dem Bus fast eine Tagesreise. Doch Rodar ist sich bewusst: „Deutsch zu lernen ist das Wichtigste, davon hängt alles andere ab.“

 

Rodar Ali ArbeitsLebensGeschichte1

„Deutsch zu lernen ist das Wichtigste, davon hängt alles andere ab.“

Vom Pflichtschulabschluss zum Lehrstart

Mit dem Asylbescheid kommt die Gewissheit: „Wir dürfen bleiben.“ Rodar und Mahabad bekommen eine Wohnung in Krumbach – und Rodar nimmt am „Top4Job“-Programm des BFI teil. Hier hat er die Möglichkeit, den Pflichtschulabschluss zu erlangen. Für ihn ein weiterer Schritt in Richtung seines Zieles: Sich weiterbilden und so viel lernen wie möglich. Was er schließlich daraus machen wird, weiß Rodar zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Doch in den Tourismus will er hier in Vorarlberg nicht. Zu eng ist dieser Berufswunsch für ihn mit seiner Heimat und der Kulturgeschichte dort verbunden.

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Auch, dass er inzwischen Vater ist, spricht für den damals 25-Jährigen gegen einen Job in der Gastronomie. Während er für seinen Pflichtschulabschluss lernt, schnuppert Rodar in unterschiedliche Berufe hinein. Ein Bekannter, der zu diesem Zeitpunkt bei seinem jetzigen Arbeitgeber beschäftigt ist, gibt ihm den Tipp, es doch einmal bei Pircher Elektrotechnik in Bregenz zu versuchen. Nach drei Wochen Praktikum als Elektrotechniker und Gebäudeleittechniker weiß Rodar: Das will ich machen.

„Elektriker ist ein guter Beruf.“

„Elektriker ist ein guter Beruf“, ist Rodar überzeugt. Hier hat er viele Chancen, sich weiterzuentwickeln, das gefällt ihm. Am praktischen Geschick mangelt es nicht, doch sein Chef ist anfangs skeptisch, ob Rodars Deutschkenntnisse gut genug sind, um dem Unterricht in der Berufsschule folgen zu können. Doch der ist sich sicher, dass er es schafft – und bekommt die Chance. Seine Leistungen geben ihm recht. Jedes Schuljahr schließt er mit einem ausgezeichneten oder sehr guten Erfolg ab. Erst bei der Lehrabschlussprüfung kommt Rodar ins Straucheln. Er fällt durch. „Ich hatte ein komplettes Blackout“, sagt er rückblickend. Das habe ‚richtig weh getan‘, denn das sei die erste Prüfung seines Lebens gewesen, die er nicht geschafft habe. Im März kann Rodar die Prüfung noch einmal ablegen und ist zuversichtlich, dass er es dieses Mal schaffen wird.

 

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Ein Betriebsrat mit Zukunftsplänen

 

Im Unternehmen fühlt Rodar sich wohl. Vor Kurzem wurde er in den Betriebsrat gewählt, inzwischen ist er Vorsitzender. Nach seiner Lehrabschlussprüfung will Rodar sich in Richtung Heimautomation und Programmierung weiterbilden. Auch die Meisterprüfung zu machen, kann er sich vorstellen. Doch das Wichtigste ist und bleibt für den inzwischen 30-Jährigen die Vereinbarkeit mit der Familie, und dass auch seine Frau nun die Chance bekommt, in den Arbeitsmarkt einzusteigen. Mit inzwischen zwei kleinen Kindern war bisher kaum mehr als der Besuch von Deutschkursen möglich. Seit Kurzem wohnt die Familie in Wolfurt. Das mache vieles sehr viel einfacher, vor allem mit der Kinderbetreuung. Auch Rodar unterstützt seine Frau, wo er kann. „Ich habe meine Chance bekommen und genutzt. Jetzt ist sie an der Reihe.“

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