David Kammann: Man muss die Dinge selbst in die Hand nehmen.

Was soll man tun, wenn man einfach keinen Job in der Branche bekommt, in der man arbeiten möchte? Abwarten? In Selbstmitleid versinken? Sich umorientieren? David Kammann hat sich durchgebissen und schließlich die Dinge selbst in die Hand genommen. Was er dabei über sich selbst, über den Wert von Familie und die Bedeutung von Arbeit gelernt hat, erzählte der Veranstaltungstechniker bei den ArbeitsLebensGeschichten Anfang April 2025.

„Musik hat mir immer schon getaugt“, sagt David. Das ist schon in der Schule so. Mit Mathe und Naturwissenschaften hingegen kann er spätestens in der Oberstufe gar nichts mehr anfangen. Er bleibt zwei Mal sitzen, verzweifelt fast am System und – noch schlimmer – er zweifelt an sich. Erst als er ans Borg in Götzis wechselt und dort das Gymnasium im musischen Zweig fortsetzen kann, blüht er auf. Auch schulisch hat er keine Probleme mehr.

Nach der Matura und dem Zivildienst bewirbt David sich an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien – eine der Top-Fünf-Universitäten weltweit im Bereich „Performing Arts“. Er schafft die Aufnahmeprüfung und absolviert den dreijährigen Universitätslehrgang „Computermusik und Elektronische Medien“. Auch diese dreijährige Ausbildung genießt er in vollen Zügen. 2013 schließt David den Lehrgang ab, er macht viel Musik und beteiligt sich an Projekten mit anderen Student:innen. Beruflich würde er gerne als Tontechniker Fuß fassen, doch Jobangebote gibt es kaum. Lediglich ein Nebenjob bei einer Synthesizer-Firma, bei der David Geräte zusammenlötet, sichert ihm ein regelmäßiges, aber sehr geringes Einkommen.

Familie will ernährt werden

Zu dieser Zeit ist er bereits mit seiner jetzigen Frau Selin zusammen. Als sie kurz vor ihrem eigenen Abschluss in Erziehungswissenschaften schwanger wird, ist klar: Mit seinem Gehalt kann er keine Familie ernähren. Doch als er versucht einen anderen Job als Tontechniker zu finden, gestaltet sich das sehr schwierig. Also sucht David nach Alternativen und entscheidet sich schließlich für eine Ausbildung zum Hörakustiker. Der Gedanke dahinter: Dieser Job lässt sich gut mit seinem technischen Know-how verbinden – was auch stimmt. Doch er hat die Rechnung ohne einen wesentlichen Aspekt dieses Berufes gemacht: das Verkaufen – und das ist so überhaupt nichts für den ruhigen jungen Mann. Also trifft das Paar gemeinsam die Entscheidung, dass David kündigen und bei ihrem Sohn zuhause bleiben wird. Als das Baby acht Monate alt ist, beginnt Selin in einer betreuten Jugend-WG zu arbeiten.

Ein gutes halbes Jahr lang kümmert sich David um den Kleinen, dann merken beide: Es wird Zeit für einen Wechsel. Selins Job ist sehr fordernd und David macht sich wieder auf die Suche. Diesmal hat er die Zeit, sich in Ruhe umzusehen – und wird tatsächlich fündig.

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Ein richtig guter Job

Das Theater der Jugend sucht einen Tontechniker. David bewirbt sich und wird auch sofort eingeladen. Schon im Gespräch mit dem technischen Leiter bekommt er die Zusage: Er kann anfangen. „Das war für mich tatsächlich einer der schönsten Tage“, sagt David. Der Job ist richtig gut: Unter anderem ist es seine Aufgabe, für die Theaterproduktionen Soundcollagen zu entwickeln und für einen technisch reibungslosen Ablauf der Aufführungen zu sorgen. Im Grunde könnte alles so bleiben, wie es ist. Beruflich läuft es toll und ein zweites Kind ist auch unterwegs. Trotzdem muss David nach nur zwei Jahren seinen Job kündigen. Eine Entscheidung, die ihm sehr schwerfällt. Doch er hat gute Gründe.

Go West

David und seine Familie müssen aus ihrer Wohnung ausziehen, der Mietvertrag wird nicht verlängert. Mit inzwischen zwei Kindern fassen die jungen Eltern eine radikale Veränderung ins Auge: Das Haus von Davids Oma in Tisis steht leer. Also wagen sie es und ziehen 2018 nach Vorarlberg.

Hier anzukommen gestaltet sich schwierig für die Familie, die das Großstadtleben sehr zu schätzen wusste. Auch beruflich ist der Start in Vorarlberg mehr als zäh, zumindest für David. Selin findet bald eine Stelle als Jugendarbeiterin in Liechtenstein. Also macht das Paar es wieder so: Sie sorgt für das Einkommen der Familie und David kümmert sich um die Kinder und den Haushalt. Er tut das gerne, doch es zeigt sich: „Das System ist nicht darauf ausgelegt, dass der Mann die Kinderbetreuung übernimmt“, sagt David.

"Das System ist nicht darauf ausgelegt, dass der Mann die Kinderbetreuung übernimmt.“

Einen 20-Stunden-Job zu finden, bei dem er nur am Vormittag arbeiten muss, damit er sich nachmittags um seine Kinder kümmern kann, erweist sich für den zweifachen Vater in seiner Branche als unmöglich. In Vorarlberg gibt es ohnehin sehr wenige Veranstaltungsorte, Studios oder Sendeanstalten, die Tontechniker einstellen. Viele arbeiten zudem mit Freiberuflern, und das kommt für David nicht infrage. „Diese permanente Unsicherheit ist ein Stressfaktor, den ich einfach nicht brauche“, sagt er. Er will etwas Fixes, braucht Beständigkeit und möchte die Sicherheit haben, mit einem Job seine Familie versorgen zu können – gerade in einer Zeit, in der die Pandemie die Veranstaltungsbranche für einige Zeit komplett lahmgelegt hat.

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Nach sechs Monaten gilt er als langzeitarbeitslos. Das erhöht den Druck zusätzlich, da er jetzt auch an Arbeitsprojekten teilnehmen muss. Drei Jahre zieht sich die Odyssee für den jungen Mann hin. Er probiert vieles aus und nimmt auch Jobs an, die rein gar nichts mit seiner Qualifikation zu tun haben. Doch es ergibt sich nichts von Dauer. Seinen persönlichen Tiefpunkt erreicht er, als er sich über ein Beschäftigungsprojekt im Kiosk jener Schule wiederfindet, an deren Lehrplan er damals als Schüler gescheitert ist. Das ist für David der Moment, in dem er weiß: Jetzt ist Schluss.

Jetzt ist Schluss

„Für mich war es das Wichtigste, endlich aus dieser Spirale rauszukommen“, sagt er. Also greift er zu einer Chance, die nicht unbedingt auf den ersten Blick als solche erkennbar ist: Die Stadt Feldkirch sucht eine handwerkliche Hilfskraft für den Bauhof. Eine Vollzeitstelle, doch David greift trotzdem zu – aus mehreren Gründen: Es ist endlich etwas Fixes und ein Angebot, bei dem er nicht das Gefühl hat, in seiner Lage ausgenutzt zu werden. Zudem taugt es ihm, an der frischen Luft zu arbeiten.

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David repariert Zäune, reinigt Unterführungen mit dem Hochdruckreiniger oder entleert öffentliche Mülleimer außerhalb der Innenstadt – und es gefällt ihm, diese wichtige Arbeit zu tun. Auch auf dem Müllwagen fährt David sehr gerne mit. Tonnenweise Müll einzusammeln ist zwar körperlich sehr anstrengend, aber auch sehr befriedigend, wie er erzählt: „Nach einem Tag auf dem Müllwagen habe ich mir oft selbst auf die Schulter geklopft und zu mir gesagt: Es war wichtig, was du heute geleistet hast.“

„Nach einem Tag auf dem Müllwagen habe ich mir oft selbst auf die Schulter geklopft und zu mir gesagt: Es war wichtig, was du heute geleistet hast.“

Zurück hinter der Bühne

Fast ein Jahr ist David schon im Bauhof-Team, als er über mehrere Ecken hört, dass für das Alte Hallenbad jemand gesucht wird, der sich „ein bisschen mit Tontechnik auskennt“. Natürlich meldet er sich sofort und er bekommt den Job. Seit 2023 ist David Veranstaltungstechniker im Alten Hallenbad und im Montforthaus. Dort kümmert er sich bei unterschiedlichsten Kulturveranstaltungen und Events um den Ton, das Licht, die Bühnentechnik oder auch mal um die Bestuhlung. „Das ist genau das, was ich machen will“, sagt David. An die Zeit im Bauhof erinnert er sich trotzdem gerne. „Für mich war das ein Sprungbrett“, sagt er. Eines, das ihn innerlich und äußerlich stabilisiert und ihm seinen Glauben an sich selbst wiedergegeben hat. Denn obwohl die Zeit mit seinen Kindern für ihn persönlich sehr wertvoll war, die berufliche Flaute hat „meinen Selbstwert ganz schön angeknackst“, wie er sagt. Gelernt hat er dennoch viel daraus. „Auch wenn es lange nicht so läuft, wie man es sich wünscht“, resümiert er, „es nützt nichts, im Selbstmitleid zu versinken. Man muss die Dinge selbst in die Hand nehmen und versuchen, die eigene Situation zu verbessern.“ Dafür lohne es sich auch, Abzweigungen zu nehmen, die auf den ersten Blick nicht zum eigentlichen Ziel führen.

„Auch wenn es lange nicht so läuft, wie man es sich wünscht: Es nützt nichts, im Selbstmitleid zu versinken. Man muss die Dinge selbst in die Hand nehmen und versuchen, die eigene Situation zu verbessern.“

Heute ist David 35 Jahre alt. Er ist viele Extra-Meilen gegangen, doch in den meisten davon sieht er inzwischen ein Geschenk. Eines, das ihn noch enger mit seinen Kindern, mit seiner Frau und auch mit der Musik verbunden hat. In Karenz würde er immer wieder gehen, denn die Zeit, die er so mit seinen Kindern verbringen konnte, ist für ihn besonders wertvoll. Nur für die Musik bleibt nach einem langen Tag bei der Arbeit momentan nur wenig Zeit, aber: „Wenn das Haus fertig saniert und die Kinder aus dem Gröbsten raus sind, kann ich mich darauf wieder mehr konzentrieren“, sagt er. Bis dahin muss man einfach Glück haben, denn gelegentlich findet auch heute schon ein Konzert statt, bei dem David nicht hinter, sondern auf der Bühne steht.

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