Reingard Wöss: Ich habe schon als Jugendliche davon geträumt, Schriftstellerin zu werden

16. Juli 2025
Arbeitslebensgeschichte mit Reingard Wöss

Mit ihren Geschichten füllt Reingard Wöß schon in ihrer Jugend ganze Schulhefte. Doch erst kurz vor der Pensionierung findet die gebürtige Grazerin zu ihrem Traumberuf zurück: 21 Liebesromane und Thriller hat die Schriftstellerin unter den Pseudonymen Lotte R. Wöß und L. R. Wöß seither veröffentlicht. Warum Reingard ursprünglich Krankenschwester statt Schriftstellerin wurde und welche Wege die heute 66-Jährige im Laufe der Zeit beruflich wie ehrenamtlich eingeschlagen hat, erzählte die bei den ArbeitsLebensGeschichten im Juni 2025.

Agentenromane, Polizeiromane, Arztromane und ganze Theaterstücke – die Hefte, die Reingard in den 1970er-Jahren mit ihren Geschichten gefüllt hat, hat sie alle noch. Veröffentlicht wurde jedoch keine davon. Weil es damals noch viel schwieriger gewesen sei als heute, bei einem Verlag unterzukommen, schreibt die junge Reingard nur für sich und viele Geschichten auch für ihre Schwester. Der Traum, einmal Schriftstellerin zu sein, wird wohl ein Traum bleiben, denkt sie damals.

Vom Krankenhaus in die Notaufnahme

Als Reingard nach einer Hüft-Operation im Alter von 14 Jahren einige Wochen im Krankenhaus verbringen muss, nutzt sie jede Gelegenheit, den Schwestern über die Schultern zu schauen. Ihr Interesse für die Krankenpflege erwacht und Reingard entscheidet sich, eine Ausbildung zur Krankenschwester zu absolvieren. Ihre ersten beruflichen Erfahrungen macht sie in ihrer Heimatstadt Graz in der Notaufnahme. Eine sehr spannende und lehrreiche Zeit. Doch Reingard merkt bald: Sie wünscht sich mehr Kontakt zu den Patient:innen– und sie möchte weg aus Graz. Also bewirbt sie sich mit Anfang 20 auf der Inneren Medizin im Landeskrankenhaus Feldkirch – und wird prompt eingestellt.

Reingard Wöss: Ich habe schon als Jugendliche davon geträumt, Schriftstellerin zu werden

Die Arbeit direkt am Krankenbett gefällt ihr sehr. Anfang der 1980er-Jahre ist die Tätigkeit einer Pflegefachkraft auch noch ganz anders organisiert als heute. „Wir konnten noch wirklich mit den Patient:innen arbeiten“, erzählt Reingard Wöß. „Von der Wäsche bis zur Visite waren wir für alles verantwortlich. Das ist der Systempflege heute kaum mehr möglich, wo es für fast jede Aufgabe separate Zuständigkeiten gibt.“ Eine Zerpflückung, die in der aktuellen Personalsituation gar nicht anders möglich sei.

„Wir konnten noch wirklich mit den Patient:innen arbeiten. Von der Wäsche bis zur Visite waren wir für alles verantwortlich.“

Reingard Wöß

Wie aus einem Arztroman

Die Arbeit geht nicht aus und Reingard empfindet ihren Beruf als sehr befriedigend. Für das Schreiben jedoch bleibt in dieser Zeit kein Raum. Die Romantik bahnt sich dennoch einen Weg in Reingards Leben. Beinahe wie aus einem Arztroman klingt die Geschichte, wie sie privat ihre Liebe gefunden hat. Auf einer Stationsfeier, zu der sie erst nach ihrem Dienst dazu stoßen kann, fällt ihr ein junger Mann ins Auge, der auf der Bühne mit Mantel, Hut und Gitarre für Unterhaltung sorgt. Reingard setzt sich auf den einzigen freien Platz. Als die Musikanten ihren Auftritt beenden, setzt sich dieser junge Mann direkt ihr gegenüber und stellt sich als Bruder eines Arztes ihrer Station vor. Wo sich in einem Arztroman ein paar Seiten weiter der Sprung in den Epilog anbietet, beginnt für das junge Paar die Geschichte erst: Die beiden heiraten. Schon bald kündigt sich das erste Kind an und ein Jahr später das zweite. Während ihr Mann Rainer seine Zahnarztpraxis in Rankweil aufbaut, unterrichtet Reingard nach der zweiten Karenz zunächst ein Jahr in der Krankenpflegeschule und kehrt dann bis zu ihrer dritten Schwangerschaft halbtags in den Pflegedienst zurück. Möglich ist das, weil auch ihr Mann sich sehr bei der Kinderbetreuung einbringt und die junge Familie für einige Jahre die Unterstützung einer Wahloma hat.

Das Eltern-Kind-Zentrum

Dennoch wäre es oft hilfreich gewesen, die Kinder ab und zu in eine Kleinkindbetreuung geben zu können. Doch zu jener Zeit, also gegen Ende der 1980er-Jahre, gibt es im Raum Rankweil noch keinerlei Angebote dafür. Der Gedanke, hier selbst etwas auf die Beine zu stellen, kommt Reingard bei der Lektüre der Zeitschrift „Eltern“. In Deutschland, so liest sie in einem Artikel, gibt es sogenannte Mütterzentren. Orte, an denen Mütter mit kleinen Kindern sich austauschen und gemeinsam einen Kaffee trinken und die Kinder sich beschäftigen können. Gemeinsam mit einer Freundin macht sie sich auf die Suche nach interessierten Eltern. Aus dem kleinen Kreis von Müttern, die sich einmal pro Woche treffen, entsteht ein Verein, der Vorträge und Workshops organisiert und schließlich auch eine offene Kleinkindbetreuung anbietet, bei der man das Kind für drei Stunden um einen geringen Unkostenbeitrag versorgt wissen konnte. Das Eltern-Kind-Zentrum, noch heute eine tragende Säule in der Kleinkindbetreuung im Raum Feldkirch, ist geboren.

Reingard Wöss: Ich habe schon als Jugendliche davon geträumt, Schriftstellerin zu werden

Die erste und einzige Kampfrichterin im Männerturnen

Dinge ins Rollen zu bringen, wo das System (noch) zu träge ist, scheint eine von Reingards Stärken zu sein. Denn schon wenig später nimmt sie die Dinge erneut in die Hand. Ihr Sohn möchte nichts lieber als turnen. Doch in Rankweil gibt es keine Turngruppe für Jungen. Also gründet Reingard, die in ihrer Jugend selbst hobbymäßig geturnt hat, kurzerhand selbst eine solche. Neben ihrer Vollzeitanstellung in der Praxis ihres Mannes leitet sie zweimal wöchentlich diese Turngruppe und bildet sich parallel dazu laufend weiter. Aus spielerischem Turnen entwickelt sich eine Kunstturngruppe, die einige Jahre besteht und einige Talente hervorbringt. „Im Lauf der Jahre habe ich sicher ein paar hundert Buben bei mir mit dem Turnen begonnen. Da waren auch Talente dabei, die es bis zu den Jugendweltmeisterschaften geschafft haben“, freut sich Reingard. Als sie schließlich gefragt wird, ob sie nicht auch die Kampfrichterausbildung machen möchte, sagt sie zu. Reingard legt die nationale Kampfrichterprüfung ab und wertet einige Jahre – bis heute als einzige Frau – bei Staatsmeisterschaften im Männerturnen.

Reingard Wöss: Ich habe schon als Jugendliche davon geträumt, Schriftstellerin zu werden

Das Schreiben bleibt lange auf der Strecke

Die Vollzeitstelle in der Ordination, die Betreuung der Kinder und die zeitintensive Tätigkeit im Turnen lassen kaum Raum für kreative Entfaltung. „Mir hat einfach die Zeit gefehlt, aber was ich heute bereue ist, dass ich nicht zumindest Tagebuch geschrieben habe“, resümiert Reingard Wöß. Erst als die Kinder langsam erwachsen werden und sich abzeichnet, dass ihr das Turnen körperlich bald zu anstrengend werden würde, wird das Schreiben langsam wieder zum Thema. Bis sie sich dann aber wirklich hingesetzt und geschrieben habe, habe es noch eine ganze Zeitlang gedauert. Den ersten Roman, mit dem Reingard ins Schreiben zurückfindet, verwirft sie gleich wieder. Den zweiten veröffentlicht sie im Self-Publishing.

Reingard Wöss: Ich habe schon als Jugendliche davon geträumt, Schriftstellerin zu werden

An Ideen mangelt es Reingard nie. Doch sie weiß aus eigener Erfahrung: Ein Buch zu schreiben ist eine Sache, ein Buch zu veröffentlichen – und zu verkaufen – eine ganz andere. „Bei meinem ersten Buch habe ich einfach so drauflos geschrieben“, sagt sie, „doch inzwischen habe ich sehr viel dazugelernt.“ Etwa, wie entscheidend ein griffiger Titel und ein gefälliges Cover sind. Auch ein gutes Lektorat sei unerlässlich. Selbst wenn ihr erster Roman diesen Kriterien nur zum Teil entsprochen hat und sich dementsprechend bis heute nur schleppend verkauft, hat Reingard das Interesse eines Verlags geweckt. Viele weitere Liebesromane, teils als ganze Serien, sowie einige Thriller, Anthologien und Kurzgeschichten sind seither erschienen. In ihren Büchern verpackt Reingard Themen in eine unterhaltsame Geschichte, über die viel mehr gesprochen werden sollte. Auch ihr jüngster Roman „Sommerschneeflocke“ widmet sich einem Schicksal, über das viel zu oft der Mantel des Schweigens gelegt wird.

Fortsetzung folgt … 

Ihren Traum, Schriftstellerin zu sein, hat Reingard längst verwirklicht. Ist das nun das Happy End für eine erfüllte ArbeitsLebensGeschichte? Wohl kaum, denn bei Reingard und ihren Geschichten darf man mehr denn je gespannt sein auf die Fortsetzung.